Wenn ich eines in den USA gelernt habe, dann wildfremde Menschen anzusprechen. Ich gebe zu, meist wird man sowieso angesprochen, vor allem, wenn man ein kleines Kind dabei hat. Ein „oh, he is soooooo cute“ ist dann immer drin, ein freundliches Lächeln dazu – und schon sind Sie mitten im small talk. Leute kennenzulernen ist daher einfach. Gutes Wetter begünstigt diesen Prozess. Der Amerikaner hat einfach ein mitteilungsbedürftiges Wesen: „Don’t you think it’s great! The sun is back out.“ Natürlich hätten Sie das auch ohne den Hinweis eines Fremden bemerkt, aber geben Sie es zu: Zwischenmenschliche Kontakte machen den Alltag einfach schöner.
Small Talk beim Einkaufen
Situation 1: Sie erstehen einen Füller für nur 1 $ in einem US-Geschäft. An der Kasse steht eine ältere Dame und freut sich mit Ihnen über Ihr Schnäppchen: „those pens are so great, I bought one for my grandchild too.“
Situation 2: Sie erstehen einen Füller für nur 1 € in Ihrem Kaufhaus in Deutschland. Die Kassiererin nimmt Ihnen mürrisch das 1-€-Stück ab, Sie murmeln noch etwas von „cooler Preis“ und verlassen deprimiert den Laden.
Na, ist small talk wirklich so schlecht? Ich finde nicht – und wieder nach Deutschland zurückgekehrt konnte ich die angenommene Marotte, wildfremde Menschen anzusprechen, nicht so schnell ablegen, wie ich es gerne gehabt hätte. So sprach ich zwei Damen beim Hundeausführen mit den Worten „Wenigstens die haben Spaß am Hochwasser“ an, als deren Vierbeiner durch den knöcheltiefen Matsch des Leinehochwassers sprinteten. Wäre in den USA sofort ein Gespräch zustande gekommen oder wenigstens ein Kommentar wie „those crazy dogs, I guess I have to give them a shower!“ an der Tagesordnung gewesen, sahen mich die beiden Hundedamen mit solch erschreckten Gesichtern an, dass ich das Gefühl hatte, sie könnten denken, ich sei aus dem nahegelegenen psychiatrischen Landeskrankenhaus ausgebrochen. Ich habe es auch nie wieder getan…
Small Talk – Big social Life
Trotzdem: Solch ein small talk und das daraus resultierende social life hat seine Vorteile. Ich konnte das am eigenen Leib erfahren. Denn wussten Sie, dass Arbeitsstellen meist über Kontakte vergeben werden? Klar, wissen Sie. Es sind aber nicht die engen freundschaftlichen Kontakte, die Ihnen dieses Glück bescheren, sondern genau die etwas „looseren“. Man kennt sich (nicht zu gut), weiß aber sehr wohl, was die andere Person macht oder machen möchte – und denkt im rechten Augenblick daran. So habe ich zum Beispiel den Tipp für eine Postdoc-Stelle genau über einen dieser losen Kontakte bekommen … und viele kleine Dinge mehr, die uns das Leben erleichtert haben (Nanny, Kontakt zu anderen Eltern im Viertel, wo gibt es was?, wie kann ich meinen Führerschein umschreiben lassen …).
Small Talk kann extrem hilfreich sein
Gerade wenn man neu an einem Ort ist, erweist sich small talk als besonders hilfreich. Statt einsam vor sich hinzuleben, wird man rasch integriert – fast automatisch, und ehe man sich versieht, singt man bereits im Kirchenchor mit. Auf diese Weise entstehen schnell neue Bekanntschaften, die, wenn man es möchte, auch über lange Zeit Bestand haben können. So treffen wir unsere ehemaligen Vermieter noch nach zwanzig Jahren, und selbst die Chormitglieder lassen hin und wieder etwas von sich hören.


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